Meine Utopie

„I know that nothing is impossible for pure love.“

M. K. Gandhi

Alles, was ich in philosophischer Hinsicht tue, tue ich nur aus einem einzigen Grund: Ich möchte Leid vermeiden. Als Hochsensible sehe und spüre ich das geballte Leid dieser Welt sehr intensiv, und egal wie gut ich mich davon abgrenze – komplett abschalten kann ich meine Wahrnehmung nicht. Ich könnte mich aus der Welt zurückziehen und in einer Hütte im Wald leben, und ich lebe auch tatsächlich sehr abgeschieden, um meine Seele zu schonen, aber ganz aus der Gesellschaft verschwinden kann und will ich nicht. Zumal: Wenn man einmal verstanden hat, wie die menschliche Psyche funktioniert und dass das meiste Leid auf dieser Welt darauf zurückgeht, dass Menschen sich im Inneren selbst schlecht behandeln, oft unbewusst und ungewollt, kann man nie wieder zurück in die Sichtweise, dass Menschen bewusst und willentlich destruktiv handeln und man sich irgendwie damit arrangieren muss. Es gibt Ursachen und es gibt Lösungen, und das Wissen darüber geht mit Verantwortung zum Handeln einher.

Das gilt erst recht in einer Situation, in der die Menschheit auf dem besten Weg ist, sich selbst auszulöschen. Durch den menschengemachten Klimawandel, das massenhafte Aussterben von Tier- und Pflanzenarten sowie die fortschreitende Zerstörung von Ökosystemen sind unsere Lebensgrundlagen auf diesem Planeten in ernster Gefahr. Weil die Erderwärmung derzeit so rasch voranschreitet, bin ich mir nicht sicher, ob wir es schaffen werden, einen katastrophalen Zerfall der menschlichen Zivilisation noch zu verhindern, aber ich bin dagegen, sich mit diesem Zukunftsszenario abzufinden. Ich glaube daran, dass es möglich ist, dass sich der Mensch wieder in das natürliche Gefüge dieses Planeten einfügen kann, bevor er es gänzlich zerstört hat. Aber dafür braucht es eine Utopie, ein erstrebenswertes Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. 

Wie könnte die Gesellschaft der Zukunft aussehen?

In erster Linie müssen wir schnell und konsequent Treibhausgas-Emissionen reduzieren, um die Erderwärmung aufzuhalten, denn sonst brauchen wir gar nicht erst über eine Gesellschaft der Zukunft nachzudenken. In einer über 3 ° wärmeren Welt (der derzeitige Pfad) werden unsere gesellschaftlichen Systeme komplett aus dem Gleichgewicht geraten und wir können individuell froh sein, wenn es noch genug Wasser und Nahrung für uns gibt und wir irgendwo in Sicherheit sind. Unser allerwichtigstes Ziel muss sein, schnellstmöglich klimaneutral zu werden.

Aber wie könnte die Gesellschaft in einer klimaneutralen Welt aussehen? In meiner Idealvorstellung sehe ich eine Gesellschaft, die auf fairer Kooperation und gegenseitiger Fürsorge statt auf narzisstischem Konkurrenzdenken und rücksichtsloser Bereicherung beruht. Eine Gesellschaft, in der jedes Kind in einem liebevollen Umfeld aufwächst, in dem es geachtet und geschätzt wird und sich zu einem selbstbewussten, selbstbestimmten Erwachsenen entwickeln kann. Eine Gesellschaft, in der jeder die gleichen Chancen und Möglichkeiten hat, um sich selbst zu verwirklichen. Eine Gesellschaft, die von zufriedenen, ausgeglichenen Menschen gestaltet wird. Eine Gesellschaft, in der maßvoll konsumiert, sinnvoll gearbeitet und nachhaltig gewirtschaftet wird. Eine Gesellschaft, in der sich die Menschen freundlich, ehrlich und offen begegnen. Eine Gesellschaft, in der jeder einen Platz findet, ohne sich dafür verstellen oder verleugnen zu müssen.*

Meine Vorstellung einer idealen Gesellschaft ist von der Realität, in der wir heute leben, noch weit weg. Aber aus psychologischer Sicht ist das durchaus möglich und wir brauchen einen echten Gegenentwurf zu dem, was heute ist, denn sonst werden wir die Zerstörung der Biosphäre nicht aufhalten können. Wir können nicht klimaneutral werden, ohne unser Verhalten zu ändern, und Menschen werden ihr Verhalten nicht ändern, nur um klimaneutral zu werden. Wir brauchen Visionen einer besseren, gerechteren Welt, die uns nicht nur deshalb erstrebenswert erscheint, weil sie leiser und sauberer ist, sondern auch, weil wir in ihr insgesamt zufriedener sind. Das kann nur gelingen, wenn wir uns als Menschen und als Gesellschaft verändern.

Tiefere, psychosoziale Veränderungen kann man nicht erzwingen, aber man kann sie fördern. Abgesehen von der dringend notwendigen, zügigen Umstellung all unserer Systeme auf Klimaneutralität (um überhaupt noch eine Lebensgrundlage auf diesem Planeten zu haben) könnten folgende politische Maßnahmen dabei helfen:

  • Eine fundamentale Umgestaltung des Bildungssystems hin zu einem System, das Kinder und Jugendliche als freie und selbstbestimmte Individuen betrachtet und ihnen ermöglicht, sich zu eigenständig denkenden und eigenverantwortlich handelnden Erwachsenen zu entwickeln. Dazu gehört eine größere Vielfalt von Schulformen und Lerninhalten, mehr praxisnaher und praktischer Unterricht, die Abschaffung von Leistungsbewertungen und natürlich die massive Aufstockung von Lehrkräften, Sozialarbeitern und Psychologen, damit jedes Kind mit seinen Bedürfnissen, Stärken und Schwächen individuell wahrgenommen und berücksichtigt werden kann. Die Schule als gesellschaftliche Institution sollte zumindest ein Stück weit ausgleichen können, was Eltern vielleicht nicht (alleine) schaffen.
  • Die Erprobung und stufenweise Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das jeden von uns finanziell so absichert, dass er seine Grundbedürfnisse befriedigen kann und gleichzeitig die Möglichkeit hat, das zu tun, was er tun möchte. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch ein wesenseigenes Interesse daran hat, sich produktiv in die Gemeinschaft einzubringen und dass wir alle davon profitieren werden, wenn jeder von uns die Freiheit hat, das nach eigenem Ermessen und gemäß seiner Fähigkeiten und Interessen zu tun.
  • Eine Reform des Strafvollzugssystems mit dem Ziel einer intensiven und individuellen Betreuung von Straftätern, damit echte (Re-)Sozialisierung und nicht nur eine zeitweilige Verwahrung stattfindet. Ich bin für die komplette Abschaffung von Gefängnissen und die Einführung eines Vollzugssystems, das nur wirklich gefährliche Menschen aus der Gesellschaft absondert und bei allen anderen auf gezielte Wiedergutmachung ihrer Taten durch (soziale) Arbeit sowie eine engmaschige soziale und psychologische Begleitung setzt. Unser jetziges Vollzugssystem sorgt weder für Gerechtigkeit noch verhindert es, dass Täter wieder rückfällig werden. Ein zukünftiges Vollzugssystem sollte die Motive und Umstände von Straftaten viel stärker in den Fokus rücken, die Beratungen und Entscheidungen über Schuld und Strafe offener und demokratischer gestalten, den Opfern von Straftaten mehr Einflussmöglichkeiten geben und Täter so bestrafen, dass sich bei ihnen auch tatsächlich etwas ändert. Dabei sollte zukünftig viel mehr berücksichtigt werden, dass die allermeisten Straftäter aus einer inneren oder äußeren Not heraus handeln und dass man erneute Straftaten nur dann effizient verhindern kann, wenn dieser Not zielgerichtet begegnet wird.

*Wie ich mir das Leben in einer idealen Gesellschaft konkret vorstelle, beschreibe ich im Nachwort von „Die Rebellion der inneren Kinder“.

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